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Tigris Demir

Wir treffen eine uns freundlich empfangende Tigris Demir im Mesopotamien-Verein in Oberhausen. Frau Demir ist geboren am 24.01.1989 in Deutschland und gehört den Assyrern an, eine christliche Minderheit, die zum größten Teil im Südosten der Türkei lebt. Bei den Wörtern »Religion« und »Türkei« denkt die Mehrheit natürlich sofort an den Islam. Jedoch leben seit Jahrhunderten auch einige Christen dort, denen das Leben alles andere als einfach gemacht wird: Sie wurden verfolgt und waren häufig Opfer einiger fanatischer Muslime, zum Beispiel im Ersten Weltkrieg.

Tigris Demir

Das war der Hauptgrund, warum Tigris Demirs Eltern 1984 nach Deutschland kamen. Hierzu muss hinzugefügt werden, dass Frau Demirs Vater bereits 1973 im Alter von 16 Jahren in Deutschland ankam – ihre Mutter ging 1979 mit 14 Jahren zunächst in die Schweiz. Ihr Vater war 16, als er nach Deutschland kam. Außerdem wurden in Deutschland immer noch sehr viele Gastarbeiter gesucht. Das erste Jahr, in dem sie verheiratet waren – das war 1983 – verbrachten sie zusammen in der Schweiz, ehe sie ein Jahr später nach Augsburg zogen.

Frau Demirs Schulleben begann auf der Elias-Holl-Schule in der Nähe des Jakobertores. Erst als sie 13 Jahre alt war, beschloss ihre Familie nach Oberhausen zu ziehen. In diesem Stadtteil besuchte sie die Werner-Egk-Schule. Auf die Frage, ob sie in ihrer Kindheit auch Ausgrenzung oder gar Mobbing erlebt habe, antwortet sie, dass sich ihre Mitschüler schon dafür interessiert haben, wer sie sei und woher sie komme. Es sei nicht immer einfach gewesen, dann zu sagen, dass man keine richtige Heimat habe, da die Eltern in der Türkei geboren waren, man selbst aber in Deutschland geboren sei. Sie fügt hinzu: »Meine Eltern sind ja, im Gegensatz zu mir, sehr dunkelhäutig und haben auch braune Augen und mir wurde auch oft gesagt, dass ich sehr deutsch wirken würde. Allgemein lässt sich sagen, dass ich in der Schule, vor allem in der Grundschule, ganz normal aufgenommen wurde.« Eines ihrer Lieblingsfächer in der Schule war überraschenderweise Deutsch. Das hat uns im ersten Moment sehr gewundert, denn damit rechnet man natürlich nicht. Es hat uns aber sehr beeindruckt, denn Deutsch ist bekanntlich ein Fach, mit dem viele Schüler erhebliche Probleme haben. Auch für Chemie und Kunst konnte sie sich begeistern. Die andere Kultur und die Geschichte der Türkei interessierte sowohl ihre Lehrer als auch ihre Mitschüler, weshalb sie einige Referate hielt.
Eine Kleiderordnung oder ähnliches gab es in der Schulzeit (in Oberhausen besuchte sie zuerst die Werner-Egk-Schule, später die Kapellenschule) nicht wirklich, jedoch durften beispielsweise die Röcke nicht zu kurz sein. So ist es einige Male vorgekommen, dass Mädchen wegen allzu gewagter Kleidung nach Hause geschickt worden sind. Eine einheitliche Schuluniform gab es aber damals auch nicht.

Tigris Demir

Uns ist aufgefallen, dass Frau Demir einige Male das Wort »heimatlos« benutzt, deshalb fragen wir uns, ob sie sich eher als Deutsche oder als Türkin versteht. Da sie eine Assyrerin ist, versteht sie sich aber nicht wirklich als Türkin. Zudem ist sie in Deutschland geboren und spricht fließend deutsch. Sie betont jedoch auch, dass es nicht immer ganz einfach gewesen sei, in zwei Kulturen aufzuwachsen. Man müsse lernen damit umzugehen und eine gute »Mischung« zu finden. Ihre Wurzeln hat sie dennoch, und das sagt sie ganz klar, in der Türkei, weshalb sie ihre Heimat und ihre Kultur auch bewahren möchte. Außerhalb der Schule hat sich Frau Demir in ihrer Kindheit sehr oft mit ihren Freundinnen getroffen – viel Zeit hat sie auch in das Jugendprogramm des Mesopotamien-Vereins investiert. Hier hat sie getanzt und sich mit ihrer Jugendgruppe getroffen. Wir fragen Frau Demir, wie sich der Alltag früher bei ihr zuhause abgespielt hat, ob sie viel im Haushalt mithelfen musste oder ob es sich in Grenzen hielt. »Im Haushalt habe ich schon mitgeholfen, da griff ich meiner Mutter schon immer unter die Arme, bekanntlich machen ja Mädchen mehr als Jungs. Sonst habe ich noch mein Zimmer aufgeräumt, eigentlich Sachen, die jeder eben zuhause machen muss.«

Tigris Demir

Mit dem Umzug nach Oberhausen änderte sich das soziale Umfeld – Frau Demir merkt es daran, dass sie wesentlich mehr ausländische als deutsche Freundinnen hat, vor allem später auf der Kapellenschule. Dennoch betont sie, dass ihr soziales Umfeld gemischt war, da sie auch einige deutsche Freundinnen hatte.
Weihnachten und andere familiäre Feste wurden bei Familie Demir ganz traditionell deutsch gefeiert. Da sie Christen sind, wurde beispielsweise der Heilige Abend mit Plätzchen und Weihnachtsbaum gefeiert – und Frau Demir denkt nicht, dass es hierbei große Unterschiede zwischen ihrer Familie und deutschen Familien gibt.

Die letzte Frage, die wir Tigris Demir noch stellen, betrifft das Verhältnis zwischen Assyrern und Deutschen hier in Deutschland. Sie erläutert uns: »Ein kleines Problem war unser türkischer Name, somit wurde man eben gleich als Muslim abgestempelt. Viele Leute brauchen lang, um zu verstehen, dass wir Christen sind. Ich sage immer, dass unsere Familie ganz normal ist und wir Weihnachten und Ostern wie alle anderen deutschen Familien feiern, aber das wurde immer sehr schnell vergessen und man musste es den Leuten immer 3 bis 4 mal erklären, was auf Dauer schon ein bisschen nervig war.«

Text: TOBIAS RAUNER