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Herbert Wirth

Wir treffen Herrn Herbert Wirth, Jahrgang 1962, mitten in Oberhausen, in der Schißlerstraße, wo er schon seit seiner Geburt zusammen mit seinen beiden Schwestern und seiner Familie lebt. Er empfängt uns freundlich auf seinem großen Balkon mit Aussicht auf den Garten.

Herbert Wirth

Als erstes wollen wir von ihm als gebürtigen Oberhauser erfahren, wie er das erste Mal Bekanntschaft mit Migranten gemacht hat und wie mit diesen neuen türkischen Mitbürgern damals, Anfang der 1970er Jahre, umgegangen wurde. Dazu fällt ihm als erstes ein: »Der Ausländeranteil in meinem Viertel ist heute natürlich sehr groß. Aber damals war die erste türkische Familie, die vier Straßen weiter wohnte, schon exotisch.« Die ersten Migranten in der 4. Klasse in der Pestalozzischule waren zwei portugiesische Brüder, die kein Wort deutsch gesprochen haben. Trotzdem fand man schnell eine Möglichkeit, sich mit Händen und Füßen zu verständigen. Denn »Fußball verbindet sowieso alle Jungs miteinander« und so trafen sie sich regelmäßig im Schulhof, um gemeinsam Fußball zu spielen; »die beiden Portugiesen waren auf diese Weise schnell in der Schulgemeinschaft aufgenommen.« Weiter erklärt er: »Damals gab es, meiner Meinung nach, diese Ausländerfeindlichkeit wie heute noch gar nicht – Immigranten waren etwas ›Fremdes und Interessantes‹.«

Herr Wirth erinnert sich, dass sein Vater in dieser Zeit eine Wohnung in seinem Haus an einen jugoslawischen Maurer vermietet hatte. Für seinen Vater spielte nicht die Herkunft, sondern nur das handwerkliche Können und die Empfehlung eines Freundes für die Vermietung eine Rolle. »Das, was in der Hausgemeinschaft zählte, war, dass man mit anpacken konnte«, schmunzelt er. Am Ende seiner Schulzeit machte er jedoch auch Erfahrungen mit türkischstämmigen Jugendlichen, die kein Interesse an ihren Mitschülern und jeglicher Integration hatten. »Sie saßen in der letzten Reihe und haben sich isoliert; dadurch bestand dann natürlich auch auf unserer Seite kein großes Interesse an ihnen. Sie wurden von uns nicht wirklich integriert, denn zu unserer Zeit war das Wort der Integration noch gar kein Begriff.« Dennoch erinnert sich Herr Wirth an eine sehr engagierte junge Türkin in seiner Klasse. »Sie hatte wenig gemeinsam mit den anderen türkischen Schülern, sondern hat sich sehr für den Unterricht interessiert und sich problemlos in die Klasse eingefügt.«

Als nächstes interessiert uns, wie er sein Alltagsleben in Oberhausen empfindet und welche Unterschiede ihm, heute im Vergleich zu früher, auffallen. Er stellt fest, »dass der Alltag früher nicht so extrem anders war als der der heutigen Jugend«, die er ja selbst bei seinen eigenen Kindern hautnah miterlebt. Schade findet er jedoch, dass die Jugendlichen heute nicht mehr so viel Freizeit haben. »Früher hat es nicht so oft Nachmittagsunterricht gegeben, sondern mehr Zeit für Freunde und Unternehmungen. Ein großer Treffpunkt war der Spielplatz am Seitzsteg, der früher ganz anders aussah und zweigeteilt war. In der einen Hälfte gab es zwei riesengroße Sandplätze – den ›Sandlplatz‹ und in der anderen den ›Freilauf‹, zwei Schaukeln und ein Karussell.«

Im Sommer traf er sich jeden Tag mit seinen Freunden im Familienbad am Plärrer. »Es bestand aus einem nicht beheizten, eiskalten Becken, das umsonst war – das ›Freibad‹. Es befand sich da, wo heute das Volleyballfeld ist. Daneben gab es die beheizten Becken – das Familienbad –, für die man 50 Pfennig Eintritt zahlen musste.« Wie heute auch noch war der »Plärrer im Frühjahr und im Herbst natürlich das Highlight für die Oberhauser Jugend«, erzählt uns Herr Wirth.

Unterschiede zu heute, die er noch sehr gut in Erinnerung hat, sind die damaligen technischen Neuerungen. »Erst als ich in der 7. Klasse war, bekamen wir ein Telefon und auch damals hatten wir noch immer kein Auto«, erinnert er sich belustigt. Dies wurde aber auch gar nicht wirklich benötigt, da beispielsweise der Zahnarzt in der Ulmer Straße, ebenso wie der Kinderarzt in der Wertachstraße, in unmittelbarer Nähe waren. »Auch zum Einkaufen ist man zu Fuß gegangen.« Alle weiteren wichtigen Läden lagen ebenfalls direkt in der Nachbarschaft, wie Bäcker und Metzger. Er erzählt uns, dass es sogar noch Milchläden gegeben habe, und dass seine Großmutter noch mit der Milchkanne dorthin ging, um Milch zu holen. Dann muss er schmunzeln: »Die ersten Tetrapacks waren damals High-Tech, haben ausgesehen wie viereckige Luftballons – Milch in der Schachtel war was Neues.«

Herbert Wirth Am Ende unseres Interviews sagt er zufrieden, dass seine Kindheit sehr schön gewesen sei, vor allem weil es so viele Kinder in seiner Gegend gegeben habe. Allein in seinem Haus seien es schon neun Kinder gewesen. Er fügt hinzu: »Heute ist es so, dass die Kinder überall verstreut wohnen. Schulfreunde und Freunde sind getrennt. Bei uns waren alle zusammen, wir haben alle hier in Oberhausen gewohnt. Meine Schulfreunde waren meine Freizeitfreunde. Und es war alles nicht so leistungsorientiert wie heute.«

Wir bedanken uns bei Herbert Wirth für das interessante Interview.

Text: SVENJA SCHUSTER & ANNA WIRTH